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Blogbuster: Jugend ohne Gott

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HANDLUNG

Eine zeitnahe Zukunft, in einer nicht weiter benannten Stadt. Die Gesellschaft ist in Sektoren aufgeteilt. Im Zentrum: die Elite. In den Randbezirken: der Standard. Zach’s (Jannis Niewöhner) Innerer Monolog am Anfang verrät, dass er mit dem System nicht zufrieden ist. Er hinterfragt zwar nicht öffentlich, macht sich aber seine Gedanken dazu. Sein Vater ist vor kurzem gestorben. Von ihm hat er das Tagebuch – ziemlich altmodisch, denn hier läuft alles nur noch digital. Bücher sind eher prähistorisch. Zach steht kurz vor dem Abschluss. Das Ziel seiner Klassenkameraden: einer der wenigen Plätze auf einer der fünf Rowald Elite-Universitäten. Dafür muss die gesamte Klasse in einer Art Bootcamp ziehen und sich unter Beweis stellen. Zach fährt nur widerwillig mit. Im Camp angekommen werden den Jugendlichen Chips unter die Haut gepflanzt, damit sie immer auf dem Gelände lokalisierbar sind. Sie müssen Aufgaben lösen und bekommen dafür Punkte. Das Prinzip ist einfach: wer am Ende die meisten Punkte ergattert, bekommt eine Zulassung für die Uni. Moderner Numerus Clausus. In Zach’s Team ist auch die ehrgeizige Nadesh (Alicia von Rittberg), die ein Auge auf den Einzelgänger geworfen hat. Doch Zach interessiert sich nur für ein unbekanntes Mädchen aus dem Wald, eine sog. „Illegale“. Stress ist da vorprogrammiert. Und plötzlich geschieht ein Mord. Wer ist der Mörder? Und was hat Zach’s Tagebuch damit zu tun?

EINE MODERNE GESELLSCHAFTSKRITIK

In „Jugend ohne Gott“ geht es um die Elite. Eine Gewinner-Verlierer-Gesellschaft, in der nur Leistungen zählen. Die Kluft zwischen Arm und Reich, Elite und Standard, Sozial und Asozial ist gewachsen. Die Jugend lebt mit einer Ideologie, die moralische Werte verdrängt. Konkurrenzkampf steht auf der Tagesordnung. Persönliche Entfaltung und individuelle Freiheit gibt es nicht. Gleichschaltung und Kontrolle sind wichtiger. Die Schwachen und Außenseiter werden ohne Rücksicht auf Verluste isoliert. Liebe und Menschlichkeit spielen nur noch untergeordnete Rollen. Es zählen nur Erfolg, Leistung und Anpassung.

Und auch bildlich wird dieser Unterschied mit einer extremen Überzeichnung festgehalten: Während die Elite im Zentrum der Stadt in noblen Häusern wohnt, gepflegte und saubere Sachen trägt, die beste Bildung erhält und sich allgemein für etwas Besseres hält, lebt der Standard in den Randbezirken. Die Schulen sind dort überfüllt, es ist dreckig und allgemein gilt es als Strafe dort zu leben. Doch der Leistungsdruck der Elite ist extrem groß: wer schwächelt verliert und muss in die Randbezirke. Erschreckender Weise keine allzu weit hergeholte Vorstellung.

DIE LITERARISCHE VORLAGE

Als Vorlage für den Film diente der gleichnamige Roman von Ödön von Horváth aus dem Jahr 1937. Für die Verfilmung wurde die Handlung leicht verändert, da der Roman die Zustände nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten kritisiert. Der Film orientiert sich an einer zukunftsnahen Leistungsgesellschaft mit Gewinner-und-Verlierer-Werten. Im Film wie auch im Roman lässt sich die Jugend von einer Ideologie beherrschen, die jegliche Werte und Moral ersticken lässt – aus Angst vor Konsequenzen wird eben geschwiegen. Die erneute Verfilmung des mittlerweile 80jährigen Buches zeigt, dass das Thema eine zeitlose Problematik darstellt, vor der man die Augen nicht schließen sollte.

LOB

In „Jugend ohne Gott“ wird die Geschichte rund um die Abschlussklasse aus mehreren Perspektiven und Blickwinkeln erzählt. Immer wieder wird die Story zurückgespult und aus der Sicht einer anderen Person geschildert. Wie ein Puzzle wird für den Zuschauer Stück für Stück das Rätsel gelöst. Der Spannungsbogen hält hier bis zum Schluss – überraschende Wendungen inklusive. Mit jedem neuen Blickwinkel wird ein weiteres Puzzleteil aufgedeckt und tiefer in die Bedeutungsebene gegangen. Dabei ist es anfangs zwar etwas verwirrend für das Publikum, aber schnell entwickelt sich der Film zu einem tollen Thriller mit dem bekannten Aha – Effekt am Ende.

Zu loben ist aber nicht nur die ungewöhnliche Erzählform, sondern auch die gute Auswahl der Darsteller und Darstellerinnen. Fahri Yardim („Pets“) spielt den Lehrer, der aus Angst lieber den Mund hält und augenscheinlich gegen seine eigenen Wertvorstellungen handelt. Anna Maria Mühe („Mein Blind Date mit dem Leben“) verkörpert die Psychologin Loreen, die die Schüler im Camp begleitet. Bei dieser Figur ist man sich bis zum Ende nicht sicher, ob man sie lieben oder hassen sollte. Jannis Niewöhner (Rubinrot-Trilogie) übernimmt mit Zach eine zentrale Rolle und miemt den Einzelgänger, der gegen den Strom zu schwimmen versucht. Alicia von Rittberg („Charité“) spielt Nadesh, ihre Rivalin Ewa wird von Emilia Schüle („Boy7“) dargestellt. Alle zusammen ergeben ein wunderbares und harmonisches Ensemble.

FAZIT

Ein wenig erinnert die Struktur mit Sektoren sehr stark an Filme alá Hollywood wie bspw. „Die Bestimmung“, in dem die Gesellschaft in Fraktionen aufgeteilt wird, oder auch an „Die Tribute von Panem“ mit ihren Distrikten. Stört aber nicht wirklich. Unterschied zwischen den Hollywood-Filmen und diesem: der Protagonist ist männlich. Regisseur Alain Gsponer („Lila,Lila“; „Heidi“) hat ein Film geschaffen, der zwischen Drama und Thriller balanciert und bis zur letzten Minute seine Spannung nicht verliert. Mit gut ausgewähltem Cast wird die Geschichte, um einen Mord an einer Schülerin in einem Zeltlager, aus verschiedenen Blickwinkeln inszeniert. Während der Roman aus der Ich-Perspektive des Lehrers geschrieben ist, ist die Erzählform beim Film vielschichtiger und abwechslungsreicher. In beiden Fällen ist die Handlung eine zeitlose Kritik an die Gesellschaft. Der Gang ins Kino lohnt definitiv – jedoch sollte man keine leichte Unterhaltung erwarten.


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